Evernote bietet von je her einen halbwegs brauchbaren OneNote-Importfilter. Für den umgekehrten Weg brauchte es dagegen bislang externe Hobbyprogrammierer-Tools. Bis heute. Microsoft stellt endlich ein eigenes Konvertierprogramm vor. Ein erster Eindruck.
Unerwartet, reichlich spät, aber endlich da: Der Importer für den Transfer von Evernote-Notizen zu OneNote. Zwar nicht in OneNote integriert, sondern als Standalone-Programm; nicht für alle Plattformen, sondern nur für Windows (Mac-Version ist aber versprochen). Damit werden andere Lösungen, wie der recht ordentliche OneNote-Evernote-Konverter von Stefan Küng wahrscheinlich hinfällig.
Die Nutzung ist simpel: Den Importer downloaden, starten (Installation nicht nötig), Willkommensmeldung abnicken. Als nächstes erscheint eine Liste all Ihrer Notizbücher in Evernote, zumindest wenn dessen Windows-Client auf demselben Rechner installiert ist. Andernfalls akzeptiert das Tool auch aus Evernote exportierte ENEX-Dateien.
Was hier schon auffällt: Verschachtelte Notizbücher werden nicht angezeigt, zumindest nicht deren Hierarchie. Ich selber habe nur eine einfache Notizbuchstruktur in Evernote, kann von daher hier keine Belastungstests durchführen. Ich bin aber sicher, dass da recht bald Feedback von intensiveren Evernote-Nutzern kommt als ich es bin.
Als nächstes kommt die Anmeldung beim Microsoft-Konto. Anmeldung? Richtig, was hatten Sie denn gedacht? Natürlich wird als Ziel nur OneDrive oder OneDrive for Business akzeptiert und keine lokalen Notizbücher/Speicherorte. Wer die konvertierten Evernote-Notizen (mit der OneNote-„Vollversion“ aus MS Office) lokal ablegen will, muss sie erst in der Cloud speichern, lokal ein neues leeres Notizbuch anlegen und alle Abschnitte manuell verschieben.
Wenn’s dann losgeht mit dem Konvertieren, die nächste Auffälligkeit: Das Ding ist langsam. Ich meine wirklich langsam. Meine Evernote-Notizen bestehen etwa zur Hälfte aus Text und Bildern, jeweils weniger als eine DIN A4-Seite und zur anderen Hälfte aus geclippten Webseiten. Der Notizzähler (mehr Info gibt’s beim Import-Vorgang nicht) tickte alle drei bis acht Sekunden um Eins weiter. Das Konvertieren von 200 Notizen dauerte so mehr als eine Viertelstunde! Aber es handelt sich noch um eine Preview-Version (Microsoftisch für irgendwas zwischen Alpha und Beta), vielleicht legt das Tool noch an Tempo zu.
Was passiert mit Tags?
Dass aus einem Evernote-Notizbuch bei der Migration entsprechend auch ein OneNote-Notizbuch wird, ist klar. Viel spannender ist die Frage, wie der Konverter mit den Tags umgeht. Denn in der Organisation der Notizen liegt einer der wesentlichen Unterschiede zwischen OneNote und Evernote. OneNote nutzt eine mehrstufige Hierarchie (Notizbuch -> Abschnittsgruppen -> Abschnitte -> Seiten). Tags, respektive Kategorien kennt OneNote zwar auch. Sie dienen aber der Markierung einzelner Abschnitte von Notizen (Absätze, Bilder, sonstige Objekte) und lassen sich nicht ohne weiteres frei definieren, sondern kommen aus einem vorgefertigten Satz. Ausnahme: Das Office-OneNote erlaubt das vergleichsweise umständliche Anlegen benutzerdefinierter Kategorien.
Anders Evernote. Als Hierarchiestufen gibt es hier nur Notizbücher (die sich allerdings zu „Stapeln“ zusammenfassen lassen) und darin Seiten. Die Struktur wird durch die völlig freie Vergabe von Stichworten (Tags) gebildet. Dabei gelten Tags immer für eine gesamte Notizseite; die darf dafür aber beliebig viele tragen, die sich auch „On the fly“ neu definieren lassen. Das eröffnet äußerst flexible Filter- und Suchmöglichkeiten, wofür Evernote auch eine (zunächst zu erlernende) Syntax mitbringt.
Somit ist klar, dass eine 1:1-Umsetzung der Notizstruktur von Evernote zu OneNote unmöglich ist. Im Wesentlichen gäbe es nur zwei Optionen:
- Aus Evernote-Notizbuchstapeln werden in OneNote Notizbücher, aus den Evernote-Notizbüchern dann in OneNote Abschnitte, die wiederum die einzelnen Seiten enthalten. Tags ließen sich so nur in Form von Klartext an den einzelnen Notizen anbringen.
- Die Alternative: Evernote-Notizbuchstapel werden ignoriert; Aus einem Evernote-Notizbuch wird ein OneNote-Notizbuch. Die Tags der Evernote-Notizen werden zu OneNote-Abschnitten. Diese Methode hat einen großen Nachteil, wenn in Evernote eine Notiz mehrere Tags besitzt. Eigentlich müsste man dann eine Kopie jeder Notiz auf die Abschnitte verteilen, die den Tags entsprechen.
Microsoft hat sich für eine Mischung beider Methoden entschieden – mit Schwerpunkt auf die zweite, also das Ignorieren von Notizbuchstapeln und das Anlegen von Abschnitten für die Tags. Allerdings gibt es keine Kopien von Notizen mit mehreren Tags. Stattdessen wird nur jeweils der erste Tag berücksichtigt. Beispiel: Eine Evernote-Notiz enthält die Tags „Belege“, „Steuer“ und „2015“. Anstatt nun drei entsprechende Abschnitte anzulegen, landet die Notiz nur in einem, nämlich „Belege“.
Optional kann man allerdings vor der Konvertierung noch bestimmen, dass in jeder Notiz alle Tags am Anfang als Klartext mit einem vorangestellten „#“-Zeichen, also quasi als Hashtags, landen. Nach denen lässt sich dann immerhin suchen. Na ja, theoretisch zumindest. Denn OneNote streicht bei der Eingabe von Suchbegriffen alle Sonderzeichen einfach weg, findet also zum Suchbegriff „#Belege“ auch sämtliche Vorkommen von „Belege“ ohne „#“.
Seiten, die in Evernote gar keinen Tag haben, landen übrigens allesamt im OneNote-Abschnitt „Pages“.
Klar, das scheint ein fauler Kompromiss und wird akribisch gehegte Strukturen zerstören. Aber die unterschiedlichen Organisationsformen in OneNote und Evernote erlauben eben nur einen Kompromiss. Egal wie der aussieht, er wird zur Arbeitsweise des einen immer besser passen als beim anderen. Von da her kann man Microsoft hier keinen Vorwurf machen.
Kein dynamischer Austausch
Noch etwas ist wichtig zu wissen. Das Migrationstool ist genau hierfür gedacht – zum (einmaligen) Migrieren der Notizen von Evernote zu OneNote. Wer etwa denkt, er könne nun mit beidem Programmen parallel arbeiten und immer dann, wenn sich eine Notiz in Evernote geändert hat oder hinzugekommen ist, das Notizbuch erneut übertragen, erlebt eine böse Überraschung. Der Importer versucht, erneut ein komplettes Notizbuch in OneNote anzulegen und zu füllen. Um Probleme wegen bereits vorhandener Namen zu vermeiden, fügt er den Namen das Konvertierungsdatum und die Uhrzeit hinzu. Dennoch gab es im Test beim erneuten Einlesen wiederholt Probleme und eine relativ nichtssagende Fehlermeldung. Aber selbst wenn’s funktioniert; der gewünschte Effekt sind zusätzliche Notizbücher nicht. Aber mal ganz ehrlich: Eine Quasi-Synchronisation zwischen OneNote und Evernote wäre schon auf technischer Seite auch verdammt viel verlangt – und dazu sicher nicht in Microsofts Interesse.
Das Ergebnis: Ganz ordentlich
Die meisten Notizen kommen in brauchbarer Form in OneNote an, zumindest nach ersten vorsichtigen Tests. Ein paar Webclippings sehen etwas anders aus, erhalten aber alle Inhalte. Allerdings gibt es auch einige Notizen, die nicht importiert werden. Dann zum Beispiel, wenn Sie verschlüsselte Abschnitte (Evernote macht das auf Absatz-Ebene) oder Handschriftnotizen enthalten. Nach erfolgtem Import-Vorgang wird die Anzahl der nicht importierten Notizen genannt – zusammen mit dem Hinweis, diese per Copy & Paste zu übertragen.
Warum jetzt?
Im Netz kursieren schon Spekulationen darüber, warum Microsoft genau diesen Zeitpunkt ausgesucht hat, einen Konverter von Evernote zu OneNote zu veröffentlichen. Ganz oben auf der Liste der Theorien: Evernote ist im Moment angeschlagen; wichtige Köpfe haben das Unternehmen verlassen, einige Geschäftsbereiche und -modelle wurden eingestampft (z.B. Skitch oder das „Merchandising“, also der Verkauf von Evernote-Socken o.ä.). Zudem fühlen sich immer mehr Anwendern genervt von der zunehmenden Penetranz, mit der in den Evernote-Clients um den Abschluss eines Premium-Abos geworben wird – zum Teil sogar, wenn man schon eines hat.
Das soll Microsoft dazu bewogen haben, dem vermeintlich waidwunden Konkurrenten einen weiteren Schlag zu versetzen und mit dem Konverter unverhohlen deren Kunden abzufischen. Ganz ehrlich? Kann ich mir so nicht ganz vorstellen, wenn auch nicht ganz abwegig. Aber im Gegensatz zu Evernote verdient Microsoft mit OneNote nicht direkt Geld; die Nutzung ist komplett kostenlos. In Redmond gilt es vielmehr, möglichst viele Anwender zur Nutzung der Cloud-Dienste und zum Abschluss von Office-365-Abos zu bewegen. Da ist OneNote nur ein Bausteinchen in der Strategie, wenn auch ein wichtiges. Und letztlich kann es Usern egal sein, warum sie jetzt eine relativ bequeme Migrationsmöglichkeit von Evernote zu OneNote bekommen. Hauptsache, sie funktioniert und wird hoffentlich bis zur Beendigung der „Preview“-Phase noch etwas besser.
Für einen intensiveren Tests des Konverters müsste ich zunächst wieder eine Zeit lang zu Evernote zurückkehren, um dort wirklich praxisgerechte Inhalte zu sammeln. Ich hatte seinerzeit alle Notizen auf anderem Weg konvertiert und die Evernote-Notizbücher gelöscht. Aber andererseits wäre das auch gefährlich: Am Ende gefällt mir Evernote wieder so gut, dass ich OneNote links liegen lasse. Und dann ist’s vorbei mit diesem Blog. Just Kidding!
… in meinem Kurztest hat der Konverter fast alle Notizen nicht verarbeitet. Verschlüsselung oder Handschrift war nirgends drin.