Aufschlussreiches Interview: Die Zukunft von OneNote

OneNote-Chefdesigner March Rogers plaudert in einem Video-Interview aus dem Nähkästchen, wie es zum neuen UI-Design kam und über die Zukunftspläne zu OneNote. Ein Kommentar und Analyseversuch.

Wollte man das Interview, das der britische YouTuber Francesco D’Alessio mit March Rogers, Microsoft OneNote Director of Product Design, geführt hat, auf bösartig-polemische Art zusammenfassen, könnte man sagen: OneNote ist künftig vor allem ein Produkt für Kinder und Menschen mit einer Behinderung; neue Features entstammen dem Geistesblitz von Neunjährigen und Datenschutz und Privatsphäre sind zukunftshemmender Schnickschnack.

Aber da ich nicht bösartig bin, sage ich das natürlich nicht. Wer ein bisschen hinter die Kulissen von OneNote gucken und zusammen mit March Rogers in die Glaskugel schauen mag, sollte sich das Interview auf alle Fälle selbst ansehen. Ich jedenfalls finde es höchst interessant.

Wem das zu aufwändig ist, dem liste ich mal kurz die Fakten auf, die mir am interessantesten und aufschlussreichsten erscheinen:

  • Die Entwicklung der neuen Oberfläche zielt zum einen auf eine Vereinheitlichung aller OneNote-UIs ab (sehr wahrscheinlich OneNote 2016 ausgenommen) und entstand in einer aufwändigen Feldstudie vor allem (ausschließlich?) mit/in Schulklassen.
  • Neue Features werden (auch?) auf den Input von Anwendergruppen hin eingebaut; auch hier steht der Education-Bereich absolut im Vordergrund. Die „Glitter-Stifte“ (Rainbow Ink, siehe Animation weiter unten) beispielsweise seien aufgrund eines Zurufs einer Neunjährigen in einem Meeting mit einer Schulklasse entstanden. Die Mathematik-Funktionen (bisher nur in der Windows-10-App) seien eine Idee aus der Forderung ebenso junger Schüler gewesen, dass OneNote ihre Hausaufgaben automatisch erledigen solle.
  • Ab etwa der zweiten Hälfte des Interviews geht March Rogers dann doch von OneNote als Schul- und Unterrichtswerkzeug weg und erörtert einige andere Einsatzszenarien – allesamt aber aus dem privaten Bereich (Urlaubsplanung, Hochzeiten….). Kein Wort mehr zum Einsatz von OneNote als Produktivitätstool im Business-Umfeld.
  • Bei den kurz-, mittel- und langfristigen Plänen zu OneNote dreht sich eigentlich alles um Machine Learning, Datenauswertung und Künstliche Intelligenz. Im Hause Microsoft gibt es generell einen deutlichen Trend in diese Richtungen, erste konkrete Anwendungen und Umsetzungen seien zunächst für PowerPoint, später für weitere Office-Module (wohl auch OneNote) geplant. Dabei geht es um solche Dinge wie intelligente Bildauswertung (Gehörlose sollen sich Inhalte von Bildern per Sprache beschreiben lassen), automatische Datenaufbereitung und -ergänzung, starker Fokus auf Sprachein- und ausgabe (z.B. Transkribieren von Audioaufnahmen). Alles selbstverständlich serverbasiert – der eigene PC hat weder die nötige Datenbasis noch die Rechenleistung. Damit ist die Frage nach Privatsphäre und Datenschutz (und damit auch OneNote in Unternehmen) quasi beantwortet; alle Inhalte müssen durch die Microsoft-Server seziert, analysiert und gespeichert werden.

Meine persönliche Erkenntnis aus dem Interview (aber vielleicht kommen Sie zu einer ganz anderen!): Microsoft folgt dem allgemeinen Trend zu KI und Machine Learning und hat sich vom Gedanken der persönlichen Datenverarbeitung und -kontrolle zumindest teilweise verabschiedet. Dabei steht das Unternehmen bekanntlich nicht alleine da. Ich denke nur an den aktuellen Hype um Sprachassistenten wie Amazons Alexa oder Apples HomePod.

Das eröffnet sicher einige spannende neue Möglichkeiten, bei denen die Datenschutz-Unken, die vornehmlich aus Europa zu kommen scheinen, lediglich lästige Störgeräusche sind.

Was meines Erachtens in Microsofts Visionen aber wenig bis gar nicht hineinpasst, ist OneNote 2016 mit der Möglichkeit, Daten lokal zu verwalten, mit anderen (lokalen) Office-Modulen wie Outlook oder Excel zu verbinden und auf all die wunderbaren Möglichkeiten der Microsoft-Online-Services zu verzichten. Von da her fühle ich mich durch March Rogers Ausführungen einmal mehr bestärkt in meiner Einschätzung, dass die Tage des „klassischen“ OneNote 2016 für Windows und Office gezählt sind (siehe mein Beitrag „Der langsame Tod von OneNote 2016“).

4 Kommentare

  1. Rainbow Ink als Key Feature?
    Klar – wenn man 13j Mädchen fragt…
    Erweitere Formulare, bessere Template Verwaltung, bessere Suche, Behebung der Fehler im Sync bei paralleler Veränderung in Tabellen, etc etc etc….

    • Stefan Wischner

      Es ist ja nicht gesagt, dass solche Dinge nicht auch noch kommen; vor allem wenn Sie der Education-Ausrichtung ebenfalls dienen. Das hier war nur eine Zusammenfassung des Eindrucks, den dieses Interview bei mir hinterlassen hat.

  2. Meines Erachtens nach ist MS auf den Zug aufgesprungen den die anderen großen Konkurrenten auch schon fahren. Am auffälligsten ist hier Google (Alpha) zu erwähnen. Dinge entwickeln, auf den Markt werfen, aber nie wirklich fertig entwickeln und dann wieder was neues rauswerfen. Dabei aber immer schön den Fokus auf die Zielgruppe legen, die am besten beeinflussbar sind.
    Dieses verhalten ist bei MS bei vielen ehemals Businessprodukten zu beobachten. Allem voran das Thema Exchange in Kombination mit mobilen Endgeräten.
    OneNote sah ich Anfangs als ein zukunftweisendes Tool das im Grunde über den Officeprodukten „schwebt“ und in dem man dort sehr organisiert und vor allem schnell Ideen, Mailentwürfe, Termine, und Meetings festhalten kann um sie dann in alle ruhe mit dem dafür speziell entwickelten Tools fertig zu stellen.
    aber das war nur meine Vorstellung. Doch was man nun immer mehr daraus macht finde ich eher „kindisch“.

    • Stefan Wischner

      Ja, da decken sich unsere Meinungen weitgehend. Die „(throw it at the wall and) see if it sticks“-Mentalität ist derzeit schon sehr ausgeprägt bei Microsoft. Siehe Docs.com, Planner, Teams, ToDo… Es fällt schwer, sich auf was Neues einzustellen, Zeit und Geld zu investieren, um es in den eigenen Workflow einzubauen, weil das Risiko besteht, dass Microsoft wieder zurückzieht oder sich einen neuen „heißen Scheiß“ ausdenkt.
      Ich denke allerdings, dass bei OneNote die Sache noch ein wenig anders liegt. Ich habe die starke Vermutung, dass seit seiner Veröffentlichung 2003 für die Verantwortlichen die Frage unbeantwortet blieb „wie können wir damit Geld verdienen?“. Und dass es, nachdem der Einzelverkauf ein paar Jahre lang floppte, auf der Abschussliste stand. Möglicherweise hat dann Satya Nadella gesagt: „Ok, wir behalten es vorerst, aber macht mir Cloud-Software daraus“. Brachte auch kein Geld und nun ist OneNotes Überlebensberechtigung halt Microsofts neues Engagement im Education-Bereich. Ich weiß gar nicht, ob OneNote jemals als Produktivitätstool im Business- und Office-Bereich geplant war. Ich glaube, der Erfinder Chris Pratley wollte nur eine Art Personal Assistant mit Möglichkeiten, die Word odr Outlook nicht boten.

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